Persönliches

Hört endlich auf Mütter zu bevormunden und es womöglich noch “Fürsorge” zu nennen

Neulich war es wieder so weit – ich hatte bei LinkedIn einen Beitrag zur Frauenquote und der neuen Allbright Studie entdeckt und in den Kommentaren berichtet eine Frau von ihren Erlebnissen im Bewerbungsprozess.

Sie hatte sich für eine verantwortungsvolle Position beworben, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, das auch gut lief. Doch dann kam die Rückmeldung, dass Einstellung, Einsatz und Motivation sehr gut passend für die Position sei, man aber….aufgrund der Verantwortung im Privatleben (=Kind) und trotz Vorhandensein eines großes Unterstützungsnetzes besorgt sei über die Belastung und sich nicht wohlfühlen würde, ihr die Position zu geben.

Punkt.

Screenshot eines Kommentars bei LinkedIn mit der unglaublichen Rückmeldung einer Personalabteilung.
Kommentar bei LinkedIn mit der unglaublichen Rückmeldung einer Personalabteilung.

Was ist hier passiert? Entscheidung “für” Mütter

Eine Personalabteilung hat also eine vielversprechende Kandidatin für eine leitende Position, findet sie passend und beschließt dann, dass es aber nicht möglich ist, diese Stelle mit der Verantwortung für ein Kind zu vereinbaren ist. Das Ganze gilt selbstverständlich nur für den weiblichen Part der Elternschaft, bei Vätern habe ich so etwas noch nie gehört.

Diese Entscheidung ist – sehr wohlwollend betrachtet – sicher “gut gemeint”. Da macht sich jemand Gedanken, dass so eine Konstellation anstrengend und herausfordernd ist und mit der heutigen Gesellschaftsstruktur eben auch ganz schnell überfordernd.

Und trotzdem, diese Entscheidung wird nicht in der Diskussion mit der bewerbenden Mutter gefällt, sondern mal kurzerhand über ihren Kopf hinweg, denn schließlich kann die Personalabteilung das ja alles besser einschätzen?!

Ernsthaft?! Im Jahr 2020 entscheiden Personalabteilungen für Mütter?

Wie kann es sein, dass Personalabteilungen im Jahr 2020 Frauen immer noch so bevormunden? Ganz offensichtlich fühlte sich die Person sogar so im Recht, dass sie diese Begründung schriftlich festhielt. Ich muss ehrlich gestehen, ich dachte, wir wären weiter.

Ich ging davon aus, dass wir im Berufsleben unter erwachsenen Menschen grundsätzlich davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, was er oder sie leisten kann und will und dass unser Gegenüber nur das “anbietet” an Arbeitsleistung, was auch abgeliefert werden kann. Und irgendwie ging ich davon aus, dass das inzwischen auch für Mütter gilt.

Die Zeiten, in denen verheiratete Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns arbeiten durften, sind doch schon längst vorbei. Doch wenn Kinder ins Spiel kommen, ist es wohl mit der Selbstbestimmung vorbei. Scheinbar haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

Meine Erfahrung: Bevormundung schon während der Schwangerschaft

Ich vermute, dass mich diese Erkenntnis so hart traf, weil sie mich an etwas fast Vergessenes erinnert hat. Ich habe eine ähnliche Bevormundung in der Schwangerschaft mit unserem großen Kind erlebt: Ich arbeitete damals als Wissenschaftlerin und hatte mich (noch unschwanger) auf einen Vortrag bei einer großen internationalen Konferenz beworben, ich hatte einen der begehrten Vortragsslots bekommen und freute mich riesig, meine Arbeit einem internationalen Fachpublikum vorstellen zu dürfen.

Doch nahezu gleichzeitig musste ich meinem Arbeitgeber auch sagen, dass ich schwanger war. Die Konferenz war zwar noch vor dem Mutterschutz, aber ich wäre schon deutlich schwanger gewesen, da der Termin noch einige Monate in der Zukunft sein sollte. Nun war diese Konferenz in Amerika und für mich somit mit einem transatlantischen Flug verbunden. Das fand mein Institut zu weit – was solle das Fachpublikum denn da von ihnen denken, wenn sie eine hochschwangere Frau so weit fliegen lassen, dass sei doch unverantwortlich, ich dürfe diesen Vortrag nicht halten.

Da wir als Wissenschaftler:innen alle Veröffentlichungen freigeben lassen müssen, war irgendwann klar, dass ich absagen muss. Ich hatte es nicht geschafft, meine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass ich selbst weiß, was ich mir und meinem Körper zumuten kann.

Mit dem Baby in meinem Bauch hatte ich offensichtlich die Fähigkeit oder zumindest die Erlaubnis verloren, für mich und meinen Körper zu entscheiden. Sie saßen am längeren Hebel, ich musste schweren Herzens die Einladung ablehnen. Das war 2010. Scheinbar hat sich in den letzten 10 Jahren viel zu wenig getan.

Bild von Veronika - hochschwanger am Tag ihrer Doktorprüfung mit gebasteltem Doktorhut
Am Tag meiner Doktorprüfumg – hochschwanger – allerdings nicht mit dem Großen, sondern mit dem Kleinen… also sieben Jahre nach dem abgesagten Vortrag

Was muss sich in der Wirtschaft oder besser noch in der Gesellschaft an sich ändern?

Es klingt fast schon lächerlich, aber Frauen auch mit Kindern als vollwertige Menschen zu behandeln, wäre ein wichtiger Anfang. Weder eine Schwangerschaft bzw. Geburt noch eine Adoption sorgt dafür, dass eine Frau für den Rest ihres Lebens unzurechnungsfähig wird und keine Entscheidungen mehr selbst treffen kann.

Wenn das so wäre, wäre es viel dringender, dass die Väter sich zukünftig hauptverantwortlich um den Nachwuchs kümmern, denn Kinder sind doch das Wichtigste. Doch so ist es nun mal nicht. Also hören wir endlich damit auf, Frauen so zu behandeln.

Herausforderungen bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen mitzudenken, ist ok.

Ich finde es wirklich gut, wenn wir uns als Gesellschaft ganz grundsätzlich damit beschäftigen, welche Herausforderungen sich daraus ergeben, wenn Verantwortung für Kinder getragen wird. Ich finde es wichtig, dass wir alle mehr dafür tun, dass es leichter wird, diese Verantwortung mit anderem wie zum Beispiel einer Karriere zu vereinbaren.

Möglichkeiten schaffen, in Teilzeit Verantwortung zu übernehmen, ist wichtig. Für andere Menschen zu entscheiden, dass sie “nur” Teilzeit arbeiten können, ist trotzdem nicht ok, das sollte eigentlich klar sein. Gesamtgesellschaftlich diese Herausforderungen mit zu bedenken, Lösungen dafür zu suchen und zu unterstützen, diese Lösungen zu leben, das alles ist nicht nur ok, sondern unabdingbar, wenn wir langfristig eine wirklich gerechte Gesellschaft wollen.

Aber das heißt ganz sicher nicht, im individuellen Fall für eine Mutter eine Entscheidung zu treffen. Und sei es noch so fürsorglich gemeint.

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